Berliner Milchforum

Bürokratie trifft Milchbranche

Trotz ordentlicher Preise rumort es in der Milchbranche – weil die Ampelregierung Lieferverträge vorschreiben will und durch die entwaldungsfreien Lieferketten ein neues Bürokratiemonster droht.

Die Vorzeichen am Milchmarkt sind alles andere als schlecht: 2023 war das zweitstärkste Jahr überhaupt, die erzeugte Milchmenge liegt aktuell auf Vorjahres­niveau und auch wenn am Absatzmarkt Impulse fehlen, sind Butter und Käse gut nachgefragt, erklärte Peter Stahl vergangene Woche auf dem Ber­liner Milchforum. Große Sorgen bereiten dem Vorsitzenden des Milchindustie-Verbandes (MIV) allerdings die Pläne der Bundesregierung:

  • Das Bundeslandwirtschafts­ministerium will den Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) umsetzen. Der Artikel schreibt schriftliche Verträge zwischen Erzeugern und Molkereien über Preis, Menge und Laufzeit vor. Stahl zeigte sich enttäuscht von dem Vorhaben: „Wir brauchen ­keine staatlichen Eingriffe in den Milchmarkt. Aber wir ­finden einfach kein Gehör.“ Unterstützung bekam er vom Vizepräsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Karsten Schmal. „Die Mehrheit der Milcherzeuger ist gegen den 148er, der Staat will ihn trotzdem durchsetzen.“ Das entspreche nicht den demo­kra­tischen Grundlagen, bemängelte er.
  • Aktuell gibt es für „Weidemilch“ keine genaue Definition. Der Branchenstandard ist: Rinder müssen mindestens 120 Tage für täglich sechs Stunden oder mehr auf die Weide. Jetzt überlegt die Bundesregierung, diese Position mit Mindestfutterflächen und Kontrollen zu schärfen. Das könnte aber wieder zu mehr Kühen im Stall führen, befürchtete Stahl. „Das geht an der Realität vorbei. Politik muss zu Ende denken, was sie mit ihren Gesetzen bewirkt“, forderte er ein. Die Absatz­zahlen für Weidemilch stiegen in Deutschland zuletzt auf mehr als 11 % am Markt für Konsummilch.
  • Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE): Sie empfiehlt weniger Milchprodukte zu verzehren. „Wir freuen uns, dass die DGE viel Kritik, sogar von Präventionsmedizinern bekommt. Wir hoffen, dass sie gehört werden“, sagte der MIV-Vor­sitzende.

Stahl fasste seine Wünsche in klare Worte: Politik dürfe Höfe und Molkereien nicht überfordern. „Praxistests und sorgfältige Folgenabschätzungen sind vor der Umsetzung von Gesetzen gut investierte Zeit“, riet er eindringlich.

Teilnehmer enttäuscht von Politik

„Wir haben viel zu tun in Sachen Landwirtschaft.“ Mit diesen Worten eröffnete Dr. Ophelia Nick, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium, ihr Statement bei der Podiumsdiskussion zum Auftakt des Milchforums. Beim Tierschutzgesetz gehe es ihr um das Ganze, auch um Heimtiere. Die ganzjährige Anbindehaltung solle in den nächsten zehn Jahren auslaufen. Nick sei aber klar, dass kleine Betriebe für den Umbau finanzielle Hilfen benötigen. Deswegen stehe sie hinter dem Tierwohl-Cent. ­Peter Hauck, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, hingegen hält das Verbot der Anbindehaltung nicht für zielführend. „Betriebsinhaber behan­deln ihre Tiere gut. Den ­Respekt müssen wir ihnen ent­gegenbringen“, erklärte er.

Auch der Artikel 148 der GMO kam er immer wieder auf den Tisch. Nick beschrieb ihn als Instru­ment, um die Milchbauern zu stärken. Milchviehhalter und Vorsitzender des WLV-Milchausschusses, Benedikt Langemeyer, sah das anders: „Der 148er bringt uns nichts. Das haben auch zwei wissenschaftliche Gutachten bestätigt.“ Leicht beeindruckt zeigte sich die Staatssekretärin von seinen Ausführungen zur Milchkonferenz im vergangenen Jahr. Er beschrieb emotional: Prof. Dr. Taube habe den Milchviehbetrieben sinngemäß gesagt, dass es mit den hohen Milchpreisen 2023 ein guter Zeitpunkt sei, um aus der Produktion auszusteigen. Langemeyer fragte Nick direkt: „Wissen Sie, wie sich das anfühlt?“ Und auch die Abstimmung zum Artikel 148 war in seinen Augen eindeutig: Die Mehrheit im Raum war gegen den Artikel. Trotzdem will die Bundesregierung ihn umsetzen. Er betonte: „Sowas führt zu Politikverdrossenheit.“

Trotzdem fand er auch ermutigende Worte. „Wir Landwirte haben es geschafft, mit den Demonstrationen in die Mitte der Gesellschaft zu rücken und sollten uns jetzt nicht spalten lassen.“

Kommentar: Praktikern zuhören!

Alina Schmidtmann, Redakteurin, (Bildquelle: Schildmann)


Die Podiumsdiskussion beim Berliner Milchforum hinterließ ein flaues Gefühl. Warum? Weil sich der Eindruck verstärkt, dass die Politiker aller Parteien nicht wirklich wissen, was die Branche bewegt. Das zeigte sich zum einen bei der Diskussion um verpflichtende Lieferverträge (Artikel 148). So glauben die Grünen, dass sie den Milcherzeugern damit einen Gefallen tun. Die Sorge etlicher Milchbauern vor extrem viel Bürokratie kommt in der Politik offensichtlich nicht an.
Im Gegenteil – das nächste Bürokratiemonster ist bereits geboren: Eine EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten. Ab 2025 müssen Rinderhalter nachweisen können, dass sie ihre Tiere auf nicht gerodeten Flächen gehalten haben. Das soll wohl anhand von Geokoordinaten geschehen. Wie genau, weiß noch keiner. Staatssekretärin Dr. Ophelia Nick versuchte, die Teilnehmer zu beruhigen, es handele sich keineswegs um einen bürokratischen Mehraufwand. Allerdings müssten die Landwirte schon Angaben dazu liefern. Wenn das kein Wider­spruch ist!
Das sind nur zwei Beispiele, die bei Milchbauern zu Verdrossenheit führen. Parallel zum Milchforum hat der Bundesrat das Wachstumschancengesetz beschlossen. Es bleibt beim Aus für Agrardiesel. Die Ankündigung der Bundesregierung, dafür Bürokratie für Landwirte abbauen zu wollen, klingt mit Blick auf den Artikel 148 sowie die entwaldungsfreien Lieferketten wenig glaubhaft. Deshalb sollten Politikerinnen und Politiker jetzt genau zuhören, welche Lösungsvorschläge aus der Branche kommen und diese ernst nehmen.

Lesen Sie mehr:

Was bringen verbindliche Milchverträge mit Preis, Menge und Laufzeit – und zwar für alle Erzeuger? Die Debatte um den „Artikel 148“ läuft auf Hochtouren.

Mehrwertprogramme QM+ und QM++

Milch: Der Handel fordert mehr Tierwohl

von Alina Schmidtmann

Die Diskounter Lidl und Aldi wollen 2024 Frischmilch ihrer Eigenmarken nur noch aus den Haltungsformen 3 und 4 verkaufen. Entsprechend haben immer mehr Molkereien Interesse an QM+ und QM++.