Diabetes mellitus kann gut und gerne als Volkskrankheit bezeichnet werden: In Deutschland leben rund 8,7 Mio. Menschen mit einem diagnostizierten Typ-2-Diabetes sowie rund 372 000 mit Typ-1-Diabetes. Hinzu kommen rund 2 Mio. Menschen, die noch nichts von ihrer Erkrankung wissen.
Die Diagnose ist vergleichsweise einfach, sagt Dr. Meinolf Behrens, Diabetologe am Diabeteszentrum Minden, vor Landfrauen des Ortsverbands Minden-Porta-Oeynhausen. Liegt der Nüchtern-Blutzuckerwert unter 126 mg/dl, ist es Diabetes. In der Regel wird das Ergebnis mittels eines oralen Glucosetoleranztests abgesichert. Dafür trinkt der Patient eine Zuckerlösung. Liegt der Blutzuckerwert zwei Stunden später über 200 mg/dl, gilt die Diagnose als gesichert.
Verschiedene Diabetes-Typen
Bei gesunden Menschen reguliert das Hormon Insulin, das in der Bauchspeicheldrüse gebildet wird, den Blutzuckerspiegel. Es sorgt dafür, dass der Zucker aus dem Blut in die Zellen transportiert wird. Ist der Blutzuckerspiegel zu hoch, kann das verschiedene Gründe haben:
Insulinmangel: Die Bauchspeicheldrüse produziert zu wenig oder gar kein Insulin mehr.
Insulinresistenz: Es wird zwar Insulin produziert, es kann an den Zellen aber nicht richtig wirken.
Möglich ist auch eine Kombination aus beidem.
Bei Erwachsenen liegt meist eine Insulinresistenz vor, mitunter verbunden mit einem Insulinmangel, und damit Typ-2-Diabetes. Erkranken Kinder oder Jugendliche an Diabetes, handelt es sich in den meisten Fällen um Typ-1-Diabetes. Dabei stellt die Bauchspeicheldrüse die Insulinproduktion ganz ein. Daneben gibt es weitere, seltenere Diabetesformen, sowie Diabetes in der Schwangerschaft, den sogenannten Gestationsdiabetes.
Genetik als mögliche Ursache
Warum ein Mensch an Diabetes erkrankt, ist bis heute nicht eindeutig erforscht. Typ-1-Diabetes tritt spontan auf, Auslöser können zum Beispiel Infektionen sein. Beim Typ-2-Diabetes ist häufig der Lebensstil, wie ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung, mit verantwortlich für die Erkrankung. Das allein ist es aber nicht. „Dann hätten wir viel mehr Menschen mit Diabetes“, stellt der Diabetologe fest. Eine wichtige Rolle spielt auch die Genetik. Deshalb warnt der Mediziner davor, Menschen mit Diabetes zu stigmatisieren.
Das Tückische am Diabetes ist, dass er oft lange Zeit unbemerkt bleibt. Treten die klassischen Symptome auf, wie häufiges Wasserlassen, starker Durst oder ungeklärte Gewichtsabnahme, dann hat die Erkrankung oft schon erste Schäden verursacht. Auf Dauer kann Diabetes zu schweren Folgeerkrankungen führen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Amputationen, Nierenschäden und Erblindungen.
Um solche Schäden zu vermeiden, ist es wichtig, Diabetes frühzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Die Therapie fußt auf vier Säulen: Ernährung, Bewegung, Stressreduktion und Medikamente. Besondere Bedeutung kommt der Ernährung zu. Allerdings finden sich dazu viele, oft widersprüchliche Empfehlungen.
Einfache Empfehlungen
Dr. Meinolf Behrens gibt seinen Patienten deshalb vier klare Botschaften mit auf den Weg: Essen Sie
- eiweißbetont,
- zuckerarm,
- kohlenhydratreduziert und
- fettmodifiziert.
Genauer gesagt: Empfehlenswert ist eine mediterrane Ernährung, zusammengesetzt aus ca. 20 Energieprozent Eiweiß, 40 % Kohlenhydraten und 40 % Fetten, wobei hochwertige Fette zu bevorzugen sind. Darüber hinaus rät der Mediziner, überwiegend frische, saisonale und regionale Lebensmittel zu wählen. Für ihn steht aber auch fest: Die Ernährung muss zum Patienten passen.
Bewegung in den Alltag bringen
Eine wichtige Rolle spielt zudem die Bewegung. Dabei gilt: Es lohnt sich in jedem Alter, mehr Bewegung in den Alltag zu bringen. Dr. Behrens stellt jedoch fest, dass die Menschen viele Chancen auf Bewegung aus ihrem Alltag entfernen. So sorgen Mähroboter, elektrische Garagentore, Onlineshopping und Onlinemeetings dafür, dass sich die Menschen möglichst wenig bewegen müssen. „Erobern Sie sich Ihre Alltagsaktivitäten zurück“, fordert Dr. Meinolf Behrens seine Patienten auf. Vor allem sollten sie die Sitzzeiten reduzieren.
Etwa jeder zweite Mensch mit Typ-2-Diabetes ließe sich allein mit Ernährungsumstellung, Gewichtsabnahme, spezieller Schulung und Bewegung gut behandeln. Werden zusätzlich Medikamente eingesetzt, dann, um zwei Ziele zu verfolgen: akute Stoffwechselentgleisungen sowie Folgeerkrankungen des Diabetes zu verhindern. Dafür gibt es verschiedene Medikamente mit unterschiedlicher Wirkung. Sie werden einzeln, kombiniert oder in Kombination mit einer Insulintherapie eingesetzt.
Abnehm-Spritze wirkt
Große Hoffnungen setzen viele Menschen in die sogenannte Abnehm-Spritze. Inzwischen sind verschiedene Medikamente auf dem Markt. Sie werden, je nach Wirkstoff, etwa einmal pro Woche gespritzt und bewirken, dass der Appetit abnimmt. Studien zeigen, dass es funktioniert.
Mit dem für Diabetiker zugelassenen Mittel Ozempic, das den Wirkstoff Semaglutid enthält, nehmen die Patienten im Durchschnitt 10 % ihres Körpergewichts ab. Mit dem Mittel Mounjaro bzw. dem Wirkstoff Tirzepatid sind es sogar bis zu 20 %.
Allerdings gibt es derzeit große Lieferengpässe bei diesen Mitteln. Außerdem sind sie sehr teuer. Während eine Therapie mit dem gängigsten Diabetes-Medikament Metformin 0,20 € am Tag kostet, schlägt Mounjaro mit 12 € pro Tag zu Buche.
Und noch etwas gibt Dr. Behrens zu bedenken: Die Mittel sind zwar sehr gut getestet. Wie sie sich jedoch im Verlauf von zehn Jahren auswirken, kann derzeit niemand mit Sicherheit sagen.
Zuckersteuer als Chance
Während Deutschland noch über die Einführung einer Zuckersteuer diskutiert, haben etwa 100 Länder sie bereits eingeführt. In Mexiko beispielsweise wird seit 2014 auf zuckerhaltige Getränke eine Sondersteuer erhoben. Großbritannien hat 2018 eine Steuer eingeführt, die stufenweise je nach Zuckergehalt im Getränk steigt. Einige Hersteller änderten daraufhin ihre Rezepturen, sodass die Getränke weniger Zucker enthalten.
In einer Studie wurde untersucht, welche Auswirkungen eine Zuckersteuer nach diesen Vorbildern in Deutschland auf Menschen im Alter von 30 bis 90 Jahren haben könnte. Demnach ließen sich bei einer Besteuerung nach mexikanischem Modell bis zum Jahr 2043 132 000 Typ-2-Diabetes-Fälle vermeiden. Mit dem britischen Modell könnte die Zahl der Diabetesfälle im gleichen Zeitraum um 244 000 sinken.
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