Bei 5 bis 10 % aller Krebserkrankungen spielen erbliche Ursachen eine Rolle. Vielen Menschen ist bekannt, dass Brust- und Eierstockkrebs genetisch bedingt sein können. „Doch es gibt auch erblichen Darmkrebs sowie seltene Formen, bei denen zum Beispiel Nierenkrebs oder Schilddrüsenkrebs im Vordergrund stehen“, erklärt Dr. Friedrich Stock, Facharzt für Humangenetik am Universitätsklinikum Essen. Außerdem gebe es das Li-Fraumeni-Syndrom, bei dem eine generelle Neigung zu ganz verschiedenen Tumoren bestehe.
Verantwortlich für das genetisch bedingte erhöhte Krebsrisiko sind Veränderungen an bestimmten Genen. Häufig betroffen sind die Gene BRCA1 und BRCA2, die Brust- und Eierstockkrebs, in seltenen Fällen aber auch andere Tumorerkrankungen auslösen können. Bei erblich bedingtem Darmkrebs spielen vor allen die Gene MLH1, MSH2 und MSH6 eine Rolle. Beim Li-Fraumeni-Syndrom ist es das Gen TP53.
Nicht jedes Familienmitglied erkrankt
Ist ein Elternteil Träger eines mutierten Gens, liegt die Wahrscheinlichkeit, die Mutation geerbt zu haben, bei 50 %. Bei den Trägern des Gendefekts hängt es von der Art des mutierten Gens ab, wie groß die Wahrscheinlichkeit für eine Krebserkrankung ist, erklärt Dr. Friedrich Stock. Zum Beispiel liegt bei Veränderungen am BRCA1-Gen die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs bei Frauen bei 60 bis 80 %, für Eierstockkrebs bei etwa 45 % und für Bauchspeicheldrüsenkrebs unter 5 %.
Das individuelle Risiko hängt jedoch, wie bei allen anderen Menschen, auch von Lebensstilfaktoren ab, wie Rauchen, Alkoholkonsum oder Kontakt zu Giftstoffen. Bei Brust- und Eierstockkrebs spielt ebenfalls eine Rolle, ob und wie oft die Frau schwanger war und ob sie gestillt hat – beides hat nachweislich einen protektiven Effekt.
Kriterien für den Gentest
Ob in einer Familie tatsächlich ein Gendefekt vorliegt, lässt sich nur durch einen Gentest herausfinden. Ein solcher Test ist aufwendig und teuer. Deshalb wird anhand festgelegter Kriterien entschieden, ob er durchgeführt wird.
Wichtig ist im Vorfeld eine Familienanamnese. „Wir fragen zum Beispiel, wer in der Familie in welchem Alter an Krebs erkrankt ist“, sagt Dr. Yasmin Zaun, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Essen. Relevant ist auch, um welche Krebserkrankungen es sich gehandelt hat. Erst nach der Anamnese wird gegebenenfalls eine Genanalyse veranlasst.
Wichtig: Zuerst muss ein erkranktes Familienmitglied eine Genanalyse durchführen lassen. Erst wenn dabei festgestellt wird, dass eine Genmutation vorliegt, haben gesunde Angehörige die Möglichkeit, sich testen zu lassen.
Diese Regelung kann innerhalb einer Familie zu Konflikten führen. Wenn die erkrankten Personen nicht mit einer Genuntersuchung einverstanden sind, haben gesunde Familienangehörige kaum eine Möglichkeit, sich selbst testen zu lassen.
Sensible Entscheidung
Die Frage, ob eine Genanalyse durchgeführt wird, ist eine sehr sensible Entscheidung. An den Zentren für erblich bedingten Brust- und Eierstockkrebs, die es zum Beispiel in Münster, Köln oder Düsseldorf gibt, wird für diese Fälle eine psychologische Beratung angeboten.
Lässt sich eine gesunde Person testen und fällt das Ergebnis der Genanalyse negativ aus, bedeutet das eine enorme Erleichterung. Ist es jedoch positiv, kann das die gesamte Familie sehr belasten. Ängste, nicht nur vor den gesundheitlichen, sondern auch vor den psychosozialen Folgen der Diagnose, kommen dabei zum Tragen, erklärt Dr. Yasmin Zaun. So kann das Testergebnis beispielsweise auch Einfluss auf die berufliche Laufbahn und auf den Abschluss von Versicherungen haben.
Für Menschen mit einem genetisch bedingt erhöhten Tumorrisiko gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Gefahr einer Krebserkrankung zu minimieren. Dazu gehören vor allem engmaschige Früherkennungsuntersuchungen.
In seltenen Fällen kann es sinnvoll sein, bestimmte Organe, zum Beispiel Brustdrüsen oder Eierstöcke, operativ entfernen zu lassen. So wird durch Entfernung der Brustdrüsen das Risiko für Brustkrebs um 95 % reduziert. Solche Maßnahmen stellen aber einen gravierenden Eingriff in den Körper dar. „Die Entfernung gesunder Organe will sehr gut beraten sein, auch unter psychologischen Aspekten“, gibt Dr. Stock zu bedenken.
Kein Kriterium für die Familienplanung
Im Hinblick auf eine Familienplanung sollte die Genanalyse auf familiär bedingte Krebserkrankungen keine Rolle spielen, sagt Dr. Friedrich Stock. Die meisten Krebserkrankungen treten erst im Erwachsenenalter auf. Sie sollten deshalb kein Grund sein, keine Kinder zu bekommen.
Gendefekt hat Einfluss auf die Therapie
Liegt eine genetische Ursache für eine Krebserkrankung vor, kann das Einfluss auf die Therapie haben. Beispielsweise sollte bei Tumorpatienten mit Li-Fraumeni-Syndrom seltener eine Strahlentherapie durchgeführt werden, erklärt Dr. Yasmin Zaun. Denn bei diesen Patienten kann die Strahlentherapie die Entstehung anderer Tumore begünstigen.
Bei Brustkrebs würde bei einer Operation eher die ganze Brust entfernt werden, wenn es sich um erblich bedingten Brustkrebs handelt. Denn in dem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu neuen Tumoren kommt, hoch. Auch eine prophylaktische Entfernung der Eierstöcke kommt dann unter Umständen in Betracht.
Außerdem gibt es Medikamente, die bei Menschen mit Defekten in den Genen BRCA1 oder BRCA2 zum Einsatz kommen, um das Risiko des Fortschreitens einer Tumorerkrankung zu reduzieren.
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