Ich kann ihn noch nicht sehen. Aber ich höre etwas: fröhliche Stimmen und Gelächter. Ein bisschen irritiert gehe ich weiter. Denn das, was ich suche, verbinde ich nicht mit Fröhlichkeit. Und dann sehe ich ihn hinter ein paar Büschen: einen M47 Patton, Kampfpanzer. Seit Jahrzehnten steht er hier auf dem Standortübungsplatz im Brander Wald und Münsterbusch. Er dient der Bundeswehr zu Übungszwecken. Das Gebiet wurde Anfang der 2000er zum Naturschutzgebiet erklärt. Seitdem zieht es an den Wochenenden, wenn keine militärischen Übungen stattfinden, zahlreiche Besucher an. Dann wird das etwa 225 ha große Areal regelmäßig zum großen Abenteuerspielplatz für Familien und zum Naherholungsgebiet für die Menschen aus dem gesamten Umkreis. Oder es wird zum lauschigen Plätzchen für ein Picknick, so wie es sich die Familie gedacht hat, die gemütlich auf den Ketten des alten Panzers ihren Proviant verspeist. Die Kinder krabbeln fröhlich auf dem dunklen Ungetüm herum und versuchen, Blicke ins Innere zu erhaschen. Sie genießen ihre Entdeckungstour sichtlich.
Kalter Krieg ganz nah
Ich für meinen Teil habe noch nie bewusst vor einem Panzer gestanden – geschweige denn, dass ich auf einem herumgeklettert wäre. Der hier misst in der Länge etwa 8,5 m, ist 3,5 m breit und ist imposante 3,4 m hoch. Der M47 Patton wurde während des Kalten Krieges von den US-Amerikanern produziert. Fünf Mann Besetzung fanden Platz im Inneren des 46 t schweren Stahlkolosses. Sein Stützrollenfahrwerk, wie seine Ketten im Fachjargon heißen, ist noch heute gut zu erkennen. Es wirkt unvorstellbar, dass dieses Gefährt Gräben mit senkrechten Wänden von bis zu 2,59 m Breite überwinden kann. Diese Informationen finde ich, als ich mein Smartphone zücke und Informationen zum Panzer suche. Denn Erklärungstafeln gibt es hier nicht. Schließlich handelt es sich um einen Übungsplatz und nicht um ein Museum.
Panzerstraßen für Amphibien
Ich laufe weiter. Entlang des Weges stehen immer wieder Tafeln. Sie sind Teil des Naturkundlichen Lehrpfades und informieren über die Tier- und Pflanzenwelt, natürlichen Gegebenheiten sowie verschiedene Naturschutzmaßnahmen. Letztere gelingen teils dank der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Da sind zum Beispiel die tiefen Spurrillen der ehemaligen Panzerstraßen. In ihnen sammelt sich das Wasser, sodass kleine Tümpel entstehen. So werden sie zum Lebensraum für verschiedene Amphibienarten.
Meine Wege führen mich vorbei an Heide, Wiesen und Bächen, durch Laubwälder und Nadelholzforste. Die Ausschilderung der gut begeh- und befahrbaren Wege ist gut. In den gängigen Wander-Apps hatte ich aber vorher auch schon ausgearbeitete Rundwege entlang der militären Sehenswürdigkeiten gefunden.
Reste der Höckerlinie
Denn zu sehen gibt es hier noch mehr als den einen Panzer. Ich laufe Richtung Nordosten weiter. Dort stehen Überreste der vierzügigen Höckerlinie. Sie wurde 1938 erbaut und war Teil des Westwalls, der mit Ende des Zweiten Weltkrieges größtenteils zerstört wurde. Gesäumt von Bäumen schlängelt sich der Fluss Inde an dem ehemaligen Panzerhindernis vorbei. Mitten auf einer Wiese steht eine rote Backsteinmauer. Dahinter entdecke ich ein weiteres altes Militärfahrzeug. Trotz verschweißter Luken lässt sich ein Blick ins Innere erhaschen. Ein kleiner Klappsitz lässt vermuten, wie wenig Komfort und Platz die Besatzung seinerzeit darin hatte.
Ich laufe über die große Freifläche, die ich mir mit vielen Hundebesitzern und ihren Vierbeinern teile, gen Südwesten. Denn auf einer Lichtung, etwa 2 km entfernt, sollen drei weitere Panzerwracks stehen.
Nach einem kurzen Anstieg sehe ich den ersten. Er thront förmlich in der Landschaft: Ein M41 Walker Bulldog. Sein Kanonenrohr ist kampfeslustig auf die offene Fläche gerichtet. Obwohl er ähnlich groß ist wie der M47 wiegt er nur rund die Hälfte. Dafür war er mit bis zu 72 km/h auch deutlich schneller, lese ich in meinem Smartphone. Bei der deutschen Bundeswehr kam das Modell als Jagd- und Spähpanzer zum Einsatz. Auch hier klettern Kinder und Eltern auf den Wracks herum und erkunden sie.
Unerhörte Fragen
„Haben die damit Menschen tot geschossen?“, fragt ein etwa 10-Jähriger. Seine Eltern unterhalten sich angeregt miteinander. Sie hören diese wichtige Frage nicht. Der Junge wiederholt sie noch einmal. Keine Reaktion. Fast bin ich geneigt, ihm zu antworten, doch ich traue mich nicht. Dabei wäre es gerade in der heutigen Zeit so wertvoll, über Krieg und Frieden zu sprechen – denke ich. Vielleicht besteht dann noch Hoffnung, dass Panzer weder hier noch anderswo auf der Welt (je wieder) zum Kampfeinsatz kommen.
Öffnungszeiten
Der Brander Wald ist wochentags von 17 bis 7 Uhr, und ganztägig an Wochenenden und Feiertagen für die Öffentlichkeit zugänglich. Vorausgesetzt, dass keine rote Flagge weht. Laut Hauptmann Michael Palm, Offizier für Standortangelegenheiten, finden nur sehr vereinzelt Übungen an Wochenenden statt. Dann sind jedoch keine Besucher auf dem Standortübungsplatz willkommen.
Panzer in BurgwaldNördlich der Ortschaft Burgwald im hessichen Landkreis Waldeck-Frankenberg steht ein einzelner M47 Patton Panzer in einem Waldstück. Besuche auf dem Übungsplatz sind laut dem Standortverantwortlichen immer möglich, wenn die grüne Flagge weht. Wie im Brander Wald weist auch hier die rote Flagge auf eine militärische Übung hin, die ein Betreten des Geländes untersagt. Konkrete Öffnungszeiten gibt es aber nicht. Wer schon einmal in Burgwald ist, der kann auch die Gelegenheit nutzen, die MUNA zu besichtigen. Dabei handelt es sich um eine der rund 370 staatlichen Munitionsanstalten, die die Wehrmacht ab 1936 im Deutschen Reich errichtete. Der Kulturverein in Burgwald kümmert sich um die Instandhaltung der Anlagen. Hier erhalten Sie weitere Informationen:
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