Landwirtschaft, Chemieindustrie oder Maschinenbau: All diese Bereiche verbindet ein Phänomen. Das gesellschaftliche Wissen zur Produktion wird immer kleiner. Gleichzeitig steigen die Ansprüche: Keine emissionsintensive Produktion in Deutschland. Weniger, am besten gar kein, Pflanzenschutzmitteleinsatz. Wenn Fleisch, dann nur nach hohen Tierwohlstandards. Dr. Andreas Möller, Journalist und Kommunikationschef beim Maschinenbauer Trumpf, leitet diese Entwicklung als ein Phänomen unserer Zeit her. „Die Gesellschaft entfremdet sich zunehmend von der Produktion, stellt aber gleichzeitig immer höhere Forderungen an diese“, so Möller auf dem Warendorfer Kreisverbandstag in Ahlen am Freitag dieser Woche.
Tierwohl versus Billigfleisch
Für den Agrarsektor ließe sich das in etwa so durchdeklinieren: Die Leistung der Landwirtschaft wird in Deutschland schon längst nicht mehr an ihrer eigentlichen Leistung – einer verlässlichen Lebensmittelproduktion – gemessen, so Möller. Eigentlich tertiäre Faktoren wie Beiträge zu Klima- und Artenschutz oder Tierwohl seien längst das gesellschaftliche Maß der Dinge.
Die Krux: Dass, was die Gesellschaft moralisch fordert, ist sie praktisch nicht bereit, umzusetzen. „Der Bürger will Tierwohl, der Konsument Billigfleisch“, zitiert Möller den ehemaligen Landwirtschaftsminister Jochen Borchert. Wird die moralische Produktionslatte hierzulande vom Bürger hochgeschraubt, verlagere sich jedoch die Billig-Produktion für den Konsumenten ins Ausland.
Die Entwicklung lässt sich für Möller auf folgende Kernfragen verdichten: „Möchte Deutschland in Zukunft noch ein souveräner Produktionsstandort mit überschaubaren Lieferketten sein? Oder möchte unser Land immer mehr importieren - wohlwissend, dass Klima-, Umwelt- und Arbeitsschutz im Ausland nicht selten geringere Standards aufweisen?“
Exportierte Probleme?
Dass dieser Prozess schon längst in Gang ist, untermauert Möller mit der Entwicklung des Schweinebestandes in Deutschland und Spanien. Lag dieser 2012 mit rund 28 Mio., Schweinen in Deutschland noch höher als der Spanische (25 Mio.), hat sich die Gewichtung radikal verschoben: 2022 blickt Spanien auf einen Bestand von 32,5 Mio., Deutschland auf 22,3 Mio. Möller macht deutlich: „Die Produktion verschwindet nicht, sie wird ausgelagert.“
Eine ähnliches Bild zeige sich in Chemie, Automobilindustrie oder Maschinenbau. Auch hier gerate die heimische Produktion durch steigende Auflagen wie Vorgaben bei Klima oder Lieferkettentransparenz unter Druck. „Energieintensive Produktion wird ausgelagert und wir importieren dann die Produkte,“ sagt Möller. Im Grunde sei das ein Export der Veredelungswirtschaft der Industrie.
Seine Forderung: „Wenn wir Produktionsland bleiben wollen, müssen wir die regulatorischen Vorgaben von Pflanzenschutz und Tierhaltung bis hin zur Kreditvergabe ändern.“
"Nicht auf Agrardiesel versteifen"
In Grußworten, Jahresrückblicken und Hauptvortrag: Auch auf dem Warendorfer Kreisverbandstag waren die durch die Streichungspläne der Ampel für Agrardiesel und Kfz-Steuer ausgelösten Proteste präsent. Durch die Bank weg wurden diese positiv bewertet: Der Ahlener Bürgermeister Dr. Alexander Berger sprach von einer „aufgeräumten Stimmung der Demos“ und auch der Warendorfer Landrat Dr. Olaf Gericke äußerte viel Verständnis und Lob für die Aktionen der Landwirte.
Eine klare Empfehlung kam von Hauptredner Dr. Andreas Möller: „Versteifen Sie sich nicht auf den Agrardiesel. Das Thema ist durch.“ Gerade in Zeiten von Bahnstreiks sollten weitere Blockaden nicht das Mittel der Wahl seien. Zielführender sei es, die Ampel-Parteien auf ihre Äußerungen zu Bürokratieabbau, Risikorücklage und Tarifglättung festzunageln.