Wenn man die Zahlen wirken lässt, entfalten sie ihre Wucht: Mit 1,4 Mio. t hat NRW 30 % weniger Weizen geerntet als im Vorjahr. Einmal, weil aufgrund der Nässe die Weizenfläche um 20 % geschrumpft ist. Aber auch, weil der Durchschnittsertrag auf 71 dt/ha eingebrochen ist – das niedrigste Niveau seit 30 Jahren. Obendrein streuen die Qualitäten stark. Bundesweit sieht es kaum besser aus: Mit 39 Mio. t bleibt die Getreideernte unter der 40-Mio.-t-Marke. Das gab es in den vergangenen 15 Jahren nur im trockenen 2018/19. Daher sind die meisten Landwirte enttäuscht.
Damit nicht genug: Auch die Preise ernüchtern – zumindest diejenigen, die Getreide verkaufen. Futterweizen liegt NRW-weit unter der Marke von 200 €/t, regional sogar deutlich. Klar ist, dass es nicht bei den Rekordpreisen von bis zu 390 €/t aus dem Jahr 2022 bleiben konnte. Aber so richtig erklären können Experten das derzeitige Tief nicht. Zwar sollen Exportregionen wie Russland, Ukraine und Nordamerika ordentliche Ernten haben, Frankreich und Spanien aber dagegen miserable. Analysten schließen daher steigende Getreidepreise nicht aus. Das bleibt aber ungewiss.
Die Landwirte sind somit eingeklemmt – zwischen unberechenbarer Witterung durch den Klimawandel und unkalkulierbaren Märkten durch die Weltpolitik. Ihre Antwort: Sie streuen das R isiko. Zum einen im Anbau: Durch eine weiter gestellte Fruchtfolge und angepasste Sortenwahl sowie Bestandsführung versuchen sie, mit beiden Extremen zurechtzukommen – von zu nass bis zu trocken. Im Einkauf von Betriebsmitteln und im Verkauf von Getreide versuchen sie mit Verträgen sowie Kontrakten extreme Preisausschläge zu glätten. Beides dürfte noch wichtiger werden.
Doch das nützt nichts, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Hier ist Politik gefordert.
■ Das Jahr 2024 zeigt, wie wichtig Pflanzenschutzmittel sind. Ohne sie wären die Erträge und Qualitäten noch schlechter ausgefallen – auch bei Sorten, die als krankheitsresistent gelten. Pauschale Verbote sind daher völlig daneben. Genau wie pauschale Einschränkungen bei der Düngung: Sie machen die Produktion von Getreide in Backqualität teilweise unmöglich – obwohl genau das gefragt ist.
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■ Deutschland und große Teile der Europäischen Union sind eine ackerbauliche Gunstregion. Durch überzogene Auflagen kann die Getreideproduktion sinken. Das löst nicht direkt eine Knappheit in der EU aus. Langfristig provoziert es aber neue Abhängigkeiten. Und: Bisher exportiert die EU Weizen in Länder wie Algerien, Marokko oder Ägypten. Diese Handelsbeziehung würde schwinden. Die Lücke könnten Staaten wie Russland schließen, das mit "Hunger als Waffe" seine geopolitische Stellung ausbauen will.
Die Hoffnung: In Brüssel formiert sich gerade ein neues EU-Parlament, in Berlin allerspätestens im Herbst kommenden Jahres eine neue Bundesregierung. Vielleicht gelingt den neuen Verantwortlichen eine bessere Balance zwischen Ertragssicherung sowie Umwelt- und Klimaschutz. Denn diese Kombination ist möglich, wenn es praxistaugliche Verfahren sind. Und sie kann mehr Wucht entfalten als eine Zahl.