CO 2-Handel: Ablasshandel oder echter Mehrwert?
Klimaschutz ist in aller Munde. Unternehmen brauchen Zertifikate, Verbraucher wollen sie und Landwirte können sogar Geld damit verdienen. Doch der CO 2 -Handel ist undurchsichtig und komplex. Wer profitiert am Ende: die Umwelt, die Unternehmen oder vielleicht doch die Landwirte?
Mit dem Flugzeug in einer Stunde und fünf Minuten von Münster nach München? Kein Problem. Dazu ist der Flug mit etwa 90 € kaum teurer als das Bahnticket für den ICE, der die Strecke in sechs Stunden und 24 Minuten zurücklegt.
Aber was ist mit der Klimabilanz? Dafür hat beispielsweise die Lufthansa eine Lösung für ihre Kunden: "Nachhaltiger fliegen – 100 % Ausgleich der flugbezogenen CO 2 -Emissionen durch einen Beitrag zu Klimaschutzprojekten" schlägt sie auf der letzten Seite vor dem Bezahlen vor. Schlappe 1,45 € und der CO 2 -Ausstoß von 75 kg für eine Person auf diesem Flug ist, laut Airline, ausgeglichen – toll! Für das Geld bekommt man auf dem Schützenfest nicht mal ein Glas Bier, aber das Klima-Gewissen ist rein.
Viele Unklarheiten
Doch bei dem vorgeschlagenen Deal der Lufthansa bleiben einige Fragen offen: In welche Projekte fließt das Geld überhaupt und wie kommt der Preis zustande? Wie können Kunden sicher sein, dass die 1,45 € nicht in den Taschen der Händler landen, sondern dort, wo das CO 2 gebunden wird? Und vor allem: Können Kunden gezielt Projekte unterstützen, bei denen Land- und Forstwirte Geld für ihre Klimaleistungen bekommen? Und kann es sich aus betrieblicher Sicht lohnen, selbst an solchen Projekten teilzunehmen?
Bei der Recherche ist vor allem eines schnell aufgefallen: Der Markt für CO 2 -Zertifikate ist kompliziert, die Fragen sind schwer zu beantworten und selbst Experten und Verbraucherschützer müssen zugeben: Wirklich sicher sein, dass das bezahlte Geld dem nachhaltigen Klimaschutz zugutekommt, kann man nie. Doch sowohl für Verbraucher als auch für Land- und Forstwirte gibt es einige Tipps, die sie beachten können, um ihr Geld bzw. ihre Arbeit möglichst gezielt einzusetzen.
Aber fangen wir vorne an: Woher kommen CO 2 -Zertifikate überhaupt?
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Was sind CO 2 -Zertifikate?
Im Rahmen des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) führte die EU 2005 verpflichtende CO 2 -Zertifikate für Industrie- und Energieanlagen ein. Damit sollten klimaschädliche Treibhausgase nach dem Verursacherprinzip minimiert werden. Konkret bedeutet das: Jedes Unternehmen der betroffenen Branchen hat seither einen zugewiesenen CO 2 -Wert X, den es im Jahr ausstoßen darf. Für diese Menge CO 2 erhält das Unternehmen Zertifikate. Übersteigt das Unternehmen den festgelegten Wert, muss es Zertifikate zukaufen. Unterschreitet es den Wert, kann das Unternehmen seine überschüssigen CO 2 -Zertifikate verkaufen und so Gewinn erzielen (siehe Abbildung Seite 12).
Folgende Anlagen und Branchen sind seit 2005 von diesem Gesetz betroffen:
■ mineralverarbeitende Industrie
■ chemische Industrie
■ Papier- und Zelluloseproduktion
■ Eisen- und Stahlproduktion
■ Nichteisenmetallindustrie
■ Raffinerien
■ Strom- und Wärmeerzeugungsanlagen, die vollständig oder anteilig fossil befeuert werden
■ sonstige Verbrennungsanlagen über 20 MW Leistung
■ 2012 kam der Luftverkehr hinzu.
■ chemische Industrie
■ Papier- und Zelluloseproduktion
■ Eisen- und Stahlproduktion
■ Nichteisenmetallindustrie
■ Raffinerien
■ Strom- und Wärmeerzeugungsanlagen, die vollständig oder anteilig fossil befeuert werden
■ sonstige Verbrennungsanlagen über 20 MW Leistung
■ 2012 kam der Luftverkehr hinzu.
Seit 2021 ein nationales System
Neben dem Europäischen Emissionshandel gibt es verschiedene nationale Systeme, wie in Neuseeland und der Schweiz. Staatenübergreifend kooperieren Kanada und die USA. Seit 2021 hat auch Deutschland ein System, um an den klimaschädlichen CO 2 -Ausstoß eines Unternehmens ein Preisschild zu hängen. Die Teilnahme ist auch hier für die Unternehmen ein Muss. Für die Umsetzung des Emissionshandels sowohl in der EU als auch in Deutschland ist die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) in Berlin zuständig. Diese gehört zum Umweltbundesamt (UBA). Das nationale System will die Emissionen in den Sektoren Verkehr und Wärme reduzieren. Seit 2024 werden auch Abfälle als Brennstoff erfasst.
Das verantwortliche Unternehmen muss ein entsprechendes Zertifikat an der Energiebörse kaufen und bis zum 30. September des Folgejahres abgeben. Für den Verkauf ist derzeit die European Energy Exchange (EEX) – die Börse für Energie und energienahe Produkte mit Sitz in Leipzig zuständig. Das UBA in Berlin als zuständige Stelle hatte den Auftrag ausgeschrieben und die EEX bekam den Zuschlag. Die Leipziger EEX veröffentlicht jeden Tag um 11 Uhr den sogenannten EEX Carbon Index. Das ist der Marktpreis für den kurzfristigen Handel (Spotmarktpreis) für die CO 2 -Preisentwicklung in Europa.
Festpreis in Deutschland
Beim nationalen Handel läuft es noch anders. Hier ist der Emissionshandel in die zwei Phasen "Einführung" und "Handel" geteilt. In der Einführungsphase werden die Zertifikate zunächst zu Festpreisen verkauft. Der Preis steigt im Laufe der Zeit. Das Ziel der Bundesregierung ist klar: Preise für das Zertifikat rauf, Treibhausgasemissionen der Wirtschaft runter – Umstieg auf nachhaltigere, umweltfreundlichere und grünere Technologien rauf. Ein Emissionszertifikat und damit eine Tonne CO 2 kostet
■ 2021: 25 €
■ 2022: 30 €
■ 2023: 30 €
■ 2024: 45 €
■ 2025: 55 €
■ 2022: 30 €
■ 2023: 30 €
■ 2024: 45 €
■ 2025: 55 €
Die Einführungsphase dauert vier Jahre von 2021 bis 2025. Dann endet auch das Mandat der EEX in Leipzig.
Staat greift ins Marktgeschehen ein
Ab 2026 soll sich der Zertifikatspreis grundsätzlich am Markt bilden, wobei der Preis noch zwischen 55 und 65 € pro Emissionszertifikat liegen muss. Ab 2027 werden die Zertifikate gehandelt, wie es auf dem europäischen Markt seit 2005 an den Klima- und Energiebörsen möglich ist. Ein Unternehmen, das CO 2 einspart, kann dann seine Zertifikate wieder verkaufen. Wer zu viel produziert, muss weitere Rechte erwerben.
So ganz frei funktioniert das Marktgeschehen jedoch nicht. Denn der Staat greift ein. Er verknappt das Angebot an Zertifikaten jährlich, indem er eine Obergrenze dafür festlegt, wie viele Treibhausgase von allen Teilnehmenden zusammen ausgestoßen werden dürfen (vergleiche Abbildung Seite 12).
Der Mechanismus dahinter heißt "Cap and Trade" Also "begrenzen (cap) und handeln (trade)". Das läuft folgendermaßen: Insgesamt wird nur eine bestimmte Gesamtmenge an Zertifikaten ausgegeben – und diese sinkt jedes Jahr (cap). Die Menge ist in der Brennstoffemissionshandelsverordnung festgelegt. Sie ergibt sich wiederum aus den Minderungsverpflichtungen
Deutschlands aus der EU-Klimaschutzverordnung. Bis 2030 soll zum Beispiel die Maximalgrenze für europäische Emissionsrechte um 4,3 % und ab 2028 auf 4,4 % pro Jahr sinken. 2024 sind es rund 90 Mio. Emissionsberechtigungen weniger.
Die Mitgliedstaaten versteigern die entsprechende Menge an Emissionszertifikaten. Teilweise werden sie auch kostenlos an die energieintensive Industrie zugeteilt, um ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Wobei die Bundesregierung ab Ende 2026 auch keine kostenlosen Zertifikate mehr vorsieht.
Die Emissionszertifikate können auf dem Markt frei gehandelt werden (trade). Der Handel findet digital statt. Durch Angebot und Nachfrage bildet sich ein Preis.
Verbraucher merken’s an der Tanke
Dieser erwartet höhere Preis soll finanzielle Anreize bei den beteiligten Unternehmen setzen, ihre CO 2 -Emissionen einerseits zu reduzieren bzw. zu vermeiden und andererseits in Klimaschutzmaßnahmen oder kohlenstoffarme Technologien zu investieren. Aber auch die Verbraucher erhalten einen Anreiz, ihren fossilen Energieverbrauch zu senken. Und das nicht nur beim Flug in den Urlaub, sondern auch direkt an der Tankstelle.
Dazu ein Beispiel: Eine Raffinerie beliefert eine Tankstelle mit Dieselkraftstoff. Sie bringt damit den Brennstoff in Verkehr. Die Raffinerie muss für jede Tonne CO 2 , die bei der Verbrennung des Kraftstoffes freiwerden kann, ein Zertifikat erwerben. Die Kosten reicht sie an den Betreiber der Tankstelle weiter. Dieser gibt die Kosten an die Autofahrer weiter. Laut Berechnungen des ADAC verteuerte sich im Januar 2021 ein Liter Diesel um 8 Cent. Damals kostete eine Tonne CO 25 €. Seitdem steigt die Bepreisung für Kohlenstoffdioxid jährlich, sodass Diesel bis 2026 rund 19 Cent mehr pro Liter kostet – als ohne die Abgabe fürs Zertifikat. Bei Super sind die Preissteigerungen ähnlich.
Geld für Energiewende
Rund 18 Mrd. € Einnahmen verbuchte Deutschland im Jahr 2023 aus dem europäischen und dem nationalen Emissionshandelssystem. Die Einnahmen fließen überwiegend in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Bundesfinanzministeriums. Mit dem Geld will die Regierung die Energiewende finanzieren und klimafreundliche Projekte in den Bereichen Energieversorgung, Dekarbonisierung, Gebäudesanierung, Wasserstoffwirtschaft und Elektromobilität anstoßen.
Der Zertifikatehandel ist für die EU die wichtigste Maßnahme für CO 2 -Einsparungen: Bis 2030 sollen die Emissionen um 55 % gegenüber 1990 sinken. Bis 2050 soll Europa treibhausgasneutral werden. Seit Beginn des Handels 2005 sanken die Emissionen beteiligter Anlagen in Deutschland laut UBA um 31 %.
Kompensation: Der freiwillige Markt
Es gibt noch einen zweiten Markt für CO 2 -Zertifikate. Das ist der freiwillige Markt. Anders als beim verpflichtenden Markt, wo sich große Emittenten in der EU das Recht erkaufen, CO in die Luft zu pusten, geht es beim freiwilligen Handel um Kompensation – zum Beispiel bei Flugreisen. Die Kompensation kann irgendwo auf der Welt stattfinden. Viele Zertifizierer setzen aber auch auf die heimische Land- und Forstwirtschaft.
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