Noch sind Photovoltaik-Freiflächenanlagen in Nordrhein-Westfalen relativ selten. Doch das Interesse an geeigneten Flächen steigt. Brauchen wirdie Anlagen wirklich? Und wenn ja, wo?
Wie viel Pacht pro Jahr?
Seit rund zwei Jahren ziehen vermehrt Projektierer von Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA) über das Land und bieten Landbesitzern Pachtpreise von 3000 € und mehr – pro Hektar und Jahr, festgeschrieben über 20 Jahre. Und das ist noch längst nicht das Ende der Fahnenstange: „In Süddeutschland sollen Betreiber großer Photovoltaik-Freiflächenanlagen dem Vernehmen nach heute schon bis zu 6000 € Pacht pro Hektar zahlen. Wenn die Börsenstrompreise wie erwartet tatsächlich langfristig steigen, werden die Pachtpreise weiter anziehen. Auch in Norddeutschland“, sagt Harald Wedemeyer, Rechtsanwalt und Experte für erneuerbare Energien beim Landvolk Niedersachsen. Eine gute Entwicklung – zumindest für Verpächter.
Ganz anders für Pächter: Denn mit diesen Preisen kommt natürlich niemand mit, der klassisch mit Ackerbau und Viehzucht sein Geld verdient und auf die Pacht von Flächen angewiesen ist.
In Niedersachsen liegt der durchschnittliche Pachtpreis für landwirtschaftliche Flächen ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen bei rund 500 €/ha. Auf sehr guten Standorten zahlen Pächter zwischen 600 und 800 €/ha, in Veredelungsgebieten mit hohem Gülledruck vielleicht auch vierstellige Beträge. Geld, das kein Landwirt aus der Portokasse zahlt.
Da kommt kein Landwirt mit
Ende 2020 waren deutschlandweit knapp 51 GW PV-Leistung installiert. Ihr Anteil an der deutschen Stromerzeugung lag bei knapp 9 %. Doch in Zukunft wird die Bedeutung von Solarenergie steigen. Für die Bundesregierung ist ihr Ausbau eine der tragenden Säulen der Energiewende.
Nach der Anfang 2021 in Kraft getretenen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2021) sollen im Jahr 2030 PV-Anlagen mit einer installierten Leistung von 100 GW am Netz sein. Wahrscheinlich wird es dabei nicht bleiben: Denn nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Frühjahr diesen Jahres musste die Bundesregierung ihre dem EEG 2021 zu Grunde liegenden Klimaziele erhöhen.
In Zukunft wachsender Strombedarf
Zusätzlich hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine „erste Neuschätzung des Stromverbrauchs“ veröffentlicht: Er sieht nun einen in Zukunft wachsenden Strombedarf. Wie stark die neue Bundesregierung die PV-Ausbauziele anheben wird, ist natürlich offen. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass es passiert. So geht zum Beispiel das Umweltbundesamt (UBA) davon aus, dass für das 65-%-Ziel ein Ausbau der Photovoltaik-Leistung auf mindestens 150 GW bis 2030 erforderlich ist. Forscher des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) schätzen den Bedarf sogar auf 155 bis 200 GW.
Allein nach dem niedrigen Ziel 100 GW im Jahr 2030 müsste sich die installierte PV-Leistung in Deutschland in den nächsten acht Jahren also fast verdoppeln.Heute sind rund drei Viertel der PV-Anlagen auf Dächern installiert, ein Viertel in der Fläche: Nach Angaben des UBA gab es Ende 2019 gut 30 000 ha PV-Freiflächenanlagen in Deutschland. Das entsprach rund 0,07 % der Gesamtfläche Deutschland. Rund 26 % der Anlagen standen auf Ackerland. Grob geschätzt waren das rund 7800 ha. Zukünftig, so erwarten Experten, wird der Zubau etwa zu 50 % auf Gebäuden und zu 50 % in der Fläche stattfinden.
Als Faustzahl gilt heute ein Flächenbedarf von etwa einem Hektar pro MW installierter Leistung.
Bei einem erwarteten Zubau zwischen 5 GW (wie 2020) und 15 GW (von Fraunhofer ISE geschätzter Bedarf) pro Jahr, wird der deutschlandweite Flächenbedarf für die zusätzlichen PV-FFA bis 2030 dann theoretisch irgendwo zwischen 2500 und 7500 ha pro Jahr liegen. Ein großer Teil davon wird landwirtschaftliche Fläche sein.
Es geht kein Weg dran vorbei
Im Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Wie groß der Flächenbedarf für PV-Freiflächenanlagen dann sein wird, weiß niemand. Denn vieles ist ungewiss: Wie verändert sich die Stromnachfrage? Inwieweit steigen die Stromerträge je Hektar Solarfläche? Wie auch immer: Heutige Schätzungen liegen in einem Bereich von „höchstens 0,5 % der deutschen Landesfläche (laut Bundesverband der Solarwirtschaft) und 2 % der Landesfläche, die von zahlreichen Wissenschaftlern prognostiziert werden. Bei einer deutschlandweiten Gesamtfläche von gut 35,7 Mio. ha wären das also zwischen gut 178 000 und mehr als 714 000 ha – verteilt auf Konversionsflächen, Seen und Gewerbeflächen, aber eben auch auf landwirtschaftliche Flächen. Einen Weg vorbei an dem massiven Ausbau der Photovoltaik-Leistung gibt es nach Meinung von Prof. Johan Lilliestam vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS Potsdam) nicht. „Wollen wir die Klimaziele erreichen, müssen wir die erneuerbaren Energien schnell und massiv ausbauen“, sagt er.
Wissenschaftler schätzen den Flächenbedarf für Photovoltaik im Jahr 2045 auf gut 700 000 ha.
„Schaut man von einer hohen Ebene herab, gibt es dabei auch keine Konflikte: Wir verfügen deutschlandweit über genügend Fläche. Gleichzeitig passen Klimaschutz und Nachhaltigkeit bei Freiflächenanlagen gut zusammen.“ Denn richtig angelegt, entstehen zwischen den Modulreihen Ruhezonen für die Tier- und Pflanzenwelt. Gut für Artenvielfalt und Biodiversität.
Konflikte vor Ort
Schaut man aber näher auf die Verhältnisse vor Ort, fällt der Blick schnell auf mögliche Konflikte: Projektierer und Landwirte, aber auch Siedlungs- oder Straßenbau, Naturschützer, Jäger und Anwohner erheben Anspruch auf Flächen bzw. eine unberührte Landschaft. Projektierer wünschen sich große, flache Flächen mit einem guten Stromanschluss. Landwirte sehen die Anlagen eher auf trockenen Grenzstandorten oder an Hängen. Naturschützer dagegen wollen diese extensiv bewirtschafteten Flächen außen vorlassen und stattdessen beste, intensiv bewirtschaftete Ackerbaustandorte aus der Produktion nehmen. Verpächter landwirtschaftlicher Flächen hoffen auf Einnahmen, Pächter bangen um ihre Existenz.
Großes Potenzial: Industrie- und Gewerbedächer
Ein großes Potenzial für Photovoltaik (PV-) Anlagen steckt in Industrie- und Gewerbegebieten. Diese machen immerhin 3 % der NRW-Landesfläche aus, sind bisher aber wenig und im Trend abnehmend genutzt. So ist laut Bundesverband Solarwirtschaft der Zubau gewerblicher PV-Dachanlagen (30 bis 750 kWp) in diesem Sommer im Vergleich zum Vorjahr um 40 % gesunken.
Die Ursache sieht der Verband unter anderem darin: Übersteigt der PV-Zubau wie zuletzt die gesetzlichen Zubauziele, sinkt die EEG-Festvergütung, die Betreiber von Neuanlagen erhalten – seit Anfang 2020 um rund 25 %. Damit rechnen sich die Investitionen meist nicht.
Ein weiteres Hemmnis ist die seit April geltende Ausschreibungspflicht für PV-Dachanlagen ab 300 kWp. Ohne einen Zuschlag erhalten Betreiber dieser Anlagen nur noch 50 % des erzeugten Stroms über das EEG vergütet. Den Rest müssen sie selbst verbrauchen.
Um den Zubau von gewerblichen PV-Dachanlagen zu forcieren, fordert der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) von der NRW-Landesregierung eine Änderung der Rahmenbedingungen: unter anderem eine PV-Pflicht für Dächer gewerblicher Neu- und Umbauten und die verfahrens- und genehmigungsfreie Nutzung von Parkplätzen für den Bau von PV-Anlagen.
Gute Planung nötig
„Ein Blick auf das Gesamtsystem ist auf keinen Fall ausreichend. Genauso wenig lassen sich die verschiedenen Interessen einfach gegeneinander abwägen“, sagt Lilliestam. Um den nötigen PV-Ausbau schnell und sinnvoll hinzubekommen, brauche es neben klaren bundespolitischen Vorgaben deshalb vor Ort die Diskussion: Was und wie viel wollen wir wo?Im Moment ist der Ausbau von Photovoltaik-Freiflächenanlagen kaum gesteuert.
Einige Vorgaben gibt das EEG. Es erlaubt die Anlagen nur auf Konversionsflächen und in einem 200 m breiten Streifen entlang von Autobahnen und Schienenwegen oder – vorausgesetzt das jeweilige Bundesland stimmt zu – in benachteiligten landwirtschaftlichen Gebieten. Letztere Regelung nutzen die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Niedersachsen. Doch längst nicht alle Freiflächenanlagen werden nach den Regeln des EEG gebaut. Zunehmend wird es wirtschaftlich interessanter auf die EEG-Förderung zu verzichten und den erzeugten Strom selbst zu vermarkten. Wer dies tut, kann überall bauen. Vorausgesetzt, die Gemeinde hat einen entsprechenden Bebauungsplan aufgestellt.
Um Wildwuchs zu vermeiden, aber auch um das Planungsverfahren abzukürzen und den Ausbau zu beschleunigen, wünscht sich Lilliestam, dass Gemeinden zukünftig Vorrangflächen für PV-Freiflächenanlagen ausweisen. Positiv wäre es dann noch, wenn Grundstücksbesitzer, Gemeinde und Anwohner die Anlagen gemeinsam bauen oder sich zumindest an ihnen beteiligen können. Ähnlich wie es bei Bürgerwindprojekten der Fall ist. Denn nur so bleibt der Großteil der Wertschöpfung vor Ort.
Alles andere als einheitlich
Regeln beim Zubau von PV-Freiflächenanlagen wünschen sich auch die landwirtschaftlichen Verbände. Noch vor kurzer Zeit haben Deutscher Bauernverband (DBV), aber auch der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) und das niedersächsische Landvolk den Bau von PV-Anlagen auf Ackerland strikt abgelehnt.
Nun sehen sie das differenzierter. „Wir wünschen uns, dass der PV-Ausbau in erster Linie auf Dachflächen stattfindet. Der Zubau in der Fläche muss so platzsparend wie möglich erfolgen“, sagt Udo Hemmerling, DBV. Wenn Anlagen schon auf Acker- oder Grünland gebaut werden müssen, dann sollte dies möglichst als Agri-PV erfolgen, also als Kombination von Stromerzeugung und Landwirtschaft auf einer Fläche.
Insgesamt ist der Berufsstand bei Weitem nicht einer Meinung, wenn es um PV-Freiflächenanlagen geht. Unterschiede bestehen zwischen den Bundesländern – je nach Betriebsstruktur und natürlichen Voraussetzungen. So können große Betriebe im Osten eher Fläche für die Photovoltaik bereitstellen als Betriebe in den flächenknappen Veredlungsregionen in Niedersachsen oder NRW. Nach den Dürrejahren 2018/19 sieht manch Landwirt PV-Freiflächenanlagen als gute Einkommensalternative.
Der Bayerische Bauernverband möchte, dass Landwirte kleinere Freiflächenanlagen von vielleicht 500 kWp privilegiert nahe der Hofstelle bauen dürfen. Anfang September hat der WLV ein Positionspapier zu PV-FFA veröffentlicht. Hierin bestätigt er die zunehmende Bedeutung der Anlagen. Der WLV betont aber auch, dass Acker- und Grünland in erster Linie der Nahrungsmittelproduktion dienen. Er wünscht sich, dass landwirtschaftliche Vorrang-, nicht aber Natur- und Landschaftsschutzflächen ausgeschlossen werden. Eine wichtige lenkende Funktion sieht auch der WLV im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung bei den Kommunen.
Schutz für Landwirte
Für das niedersächsische Landvolk stehen bei allen Überlegungen zu PV-FFA insbesondere die aktiven landwirtschaftlichen Betriebe im Mittelpunkt. Diese sind schließlich existenziell auf Pachtflächen angewiesen. „Wir lehnen PV-Freiflächenanlagen nicht pauschal ab, wünschen uns bei der Bauleitplanung aber fachlich begründete Schutzmechanismen für die aktiven Betriebe“, sagt Wedemeyer. So sollte vor der Ausweisung von PV-Flächen in den Kommunen geschaut werden, wie viele Flächen für die Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe als Acker- und Grünlandflächen erhalten bleiben müssen. Die Aufgabe, dies zu beurteilen, wird die Landwirtschaftskammer Niedersachsen übernehmen.
Landwirten, die Flächen für die Photovoltaik (PV) verpachten wollen, rät Wedemeyer, sich auf jeden Fall beraten zu lassen und dann möglichst keinen festen Pachtpreis, sondern eine prozentuale Beteiligung an den Erlösen zu vereinbaren. Hierbei sollte ein Mindestbetrag von zum Beispiel 3000 bis 4000 €/ha festgelegt werden. Noch besser sei es jedoch, keine Nutzungsverträge mit Dritten abzuschließen, sondern das Heft des Handelns mit Akteuren aus der Region selbst in die Hand zu nehmen.
NRW: Keine konkreten Pläne für die Energiewende
Wie sich die NRW-Landesregierung den Ausbau erneuerbarer Energien, speziell der Photovoltaik, konkret vorstellt, ist offen. Zwar lobt das NRW-Wirtschaftsministerium (MWIDE) das im Sommer novellierte NRW-Klimaschutzgesetz, das die Klimaziele des Bundes auch auf Landesebene übernimmt. Auf Nachfrage des Wochenblattes gab das zuständige MWIDE jedoch keine konkreten Antworten auf die Fragen von welchen Strombedarfen die Landesregierung in den nächsten Jahren ausgeht, mit welchen Energieträgern sie den Strombedarf decken möchte und welche Ausbaupfade für Windenergie- und Photovoltaikanlagen sie plant.
Im Jahr 2020 wurden in NRW insgesamt etwa 580 MW PV-Leistung installiert. Laut MWIDE übertrifft das Land damit zum fünften Mal in Folge den Zubau des Vorjahres. Auch in den kommenden Jahren solle ein Fokus auf dem beschleunigten Ausbau der Photovoltaik-Kapazitäten, inklusive der Freiflächen-Photovoltaik, liegen. Ein großes Potenzial liege dabei im Gebäudebestand. Daneben, so schreibt das MWIDE, habe die Landesregierung bereits im Jahr 2019 im Rahmen der Novellierung des Landesentwicklungsplans (LEP) die planerischen Voraussetzungen auch für den Ausbau von großflächigen Solarenergieanlagen auf der Freifläche angepasst.
Um sparsam mit Grund und Boden umzugehen und landwirtschaftliche Nutzflächen zu schützen, ermögliche der LEP seitdem die Errichtung von großflächigen Solarenergieanlagen insbesondere auf vorgeprägten Standorten wie Brachflächen, Aufschüttungen und Standorten entlang von Bundesfernstraßen oder Schienenwegen mit überregionaler Bedeutung. Damit hat das Land die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegte Flächenkulisse übernommen. Ob das Land NRW den Bau von EEG-Freiflächenanlagen auf benachteiligten Flächen freigibt, steht noch nicht fest. Das Land prüfe diese Möglichkeit, schreibt das MWIDE.
Der Bau von PV-Freiflächenanlagen ist auch außerhalb der beschriebenen Flächenkulisse möglich, wenn die zuständige Bezirksregierung ihren Regionalplan entsprechend ändert. Ein langes, aufwendiges Verfahren.