Agrarprämie vor Umbruch?
Geflucht haben Landwirte dieses Jahr genug – auch über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Denn viele Kriterien für die Agrarprämien sind praxisfremd. Während Berlin gerade kosmetische Korrekturen vornimmt, kommen in Brüssel radikale Ideen ans Licht: Die EU-Kommission überlegt offenbar, die derzeitige GAP abzuschaffen und den Mitgliedstaaten mehr Freiraum bei der nationalen Agrarpolitik zu lassen. Das wäre ein krasser Kurswechsel.
Der Reihe nach: Die aktuelle GAP-Förderperiode läuft bis 2027. Aus der Praxis kommt Kritik an den GLÖZ-Standards, den Grundanforderungen für die Prämie. Und an den Ökoregelungen, den freiwilligen einjährigen Maßnahmen. Das Bundeskabinett hat daher für 2025 nachgebessert: Die Vorgaben zur Mindestbodenbedeckung sind gelockert, die Pflichtbrache entfällt und Landwirte können Ökoregelungen wie "Brache" oder "Altgrasstreifen" umfangreicher nutzen.
Allerdings: Es bleibt kompliziert. Das zeigen die Vorgaben zum Fruchtwechsel. Künftig müssen Landwirte auf einer Fläche zwei Hauptkulturen in drei aufeinanderfolgenden Jahren anbauen. Zusätzlich müssen sie auf mindestens 33 % des Ackerlandes die Hauptkultur jährlich wechseln. Ab 2026 zählen Mais-Mischkulturen zur Hauptkultur Mais. Damit es richtig kompliziert ist: Ob Mais-Mischkulturen aus 2024 und 2025 im Jahr 2026 rückwirkend als Hauptkultur Mais zählen oder nicht, kann nicht einmal das Bundesagrarministerium sagen – obwohl das für die jetzige Anbauplanung hochrelevant ist. Der Frust ist hoch, der Ruf nach einem Systemwechsel auch.
Dieser scheint nicht ausgeschlossen zu sein: Zumindest zeigen interne Papiere der EU-Kommission Gedankenspiele, den EU-Haushalt komplett anders aufzustellen – damit würde das GAP-Budget ab dem Jahr 2028 nicht mehr existieren. Stattdessen soll es einen "Fonds für Wettbewerbsfähigkeit" geben. Demnach würden die EU-Mitgliedstaaten einen "Zuschuss" zum nationalen Haushalt bekommen, wenn das Geld auf Ziele der EU-Kommission einzahlt. Im Klartext: Jeder Mitgliedstaat könnte im gewissen Rahmen seine eigene Agrarpolitik machen. Diese könnte von "vor allem Natur- und Umweltschutz" bis "intensive Wirtschaft" reichen.
Das freut die einen und entsetzt die anderen. Ob es wirklich so kommt, halten Experten für völlig offen. Aber: Dass die internen Papiere genau jetzt an die Öffentlichkeit gelangen und eine Diskussion entfachen, dürfte kein Zufall sein. Womöglich hat die Kommission den Testballon selbst steigen lassen, um die Reaktionen zu sehen. Denn klar ist: Der EU-Haushalt gerät massiv unter Druck, die Herausforderungen sind gewaltig – von Verteidigung sowie Krieg und möglichem Ukraine-Beitritt über die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft bis zum Klimawandel. Das Ringen ums Geld hat begonnen – und wird heftig, gerade beim GAP-Budget als einer der größten Posten.
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Die Landwirtschaft braucht sich in der Debatte nicht zu verstecken – im Gegenteil: Gestärkt durch den "EU-Agrardialog" sollte sie sich früh und selbstbewusst einbringen. Sie hat überzeugende Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen. Drei Beispiele: Die europäischen Landwirte sorgen in geopolitischen Turbulenzen für Ernährungssicherung. Sie sind Vorreiter beim Ausbau von erneuerbaren Energien. Und das Abfedern von Klimafolgen sowie mehr Klimaschutz gelingt nur mit Landwirten. Allerdings: Die europäischen Landwirte stehen gleichzeitig im internationalen Wettbewerb, bei weitgehend offenen Grenzen. Daher brauchen sie Ausgleichszahlungen – auch um die flächendeckende Struktur der EU-Landwirtschaft zu erhalten. Wie das System dafür aussieht, ist fast egal – Hauptsache praxistauglich und Landwirte müssen weniger fluchen.
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