Unkontrollierbares Muskelzittern, verlangsamte Bewegungen und Steifheit der Muskeln sind typische Symptome der Parkinsonkrankheit, einer chronisch fortschreitenden Erkrankung des Nervensystems. Oft kommen weitere Einschränkungen hinzu wie Schmerzen, Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken, Störungen der Blasen- und Darmfunktion oder auch Depressionen und geistige Einbußen. Zunehmend beeinträchtigen die Beschwerden den Alltag von Erkrankten. So mancher kann seinen Beruf nicht mehr ausüben, muss Erwerbsminderungsrente beantragen.
Längjähriger Verdacht
Deutschlandweit sind laut Deutscher Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e. V. etwa 400 000 Menschen betroffen. Der Anteil der Landwirte ist nicht bekannt. Die Ursachen der Parkinsonkrankheit sind bislang nicht völlig geklärt. Seit vielen Jahren jedoch besteht der Verdacht, dass der Umgang mit bestimmten chemischen Pflanzenschutzmitteln ein Parkinson-Syndrom auslösen kann.
Zu diesem Schluss kommt nach jahrelanger Prüfung auch der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB). Das weisungsunabhängige Gremium, das beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) angegliedert ist, hat nun empfohlen, „das Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ als Krankheit des Berufsstandes anzuerkennen.
Zunächst den Antrag stellen
Die Aufnahme in die Berufskrankheiten-Verordnung muss durch das Bundesarbeitsministerium zwar noch erfolgen. Doch bei Vorliegen aller Voraussetzungen kann die Erkrankung schon jetzt als „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden. Betroffene können damit Anspruch auf Unterstützung durch die Berufsgenossenschaft haben.
{{::tip::standard::Hier finden Sie das Meldeformular: www.svlfg.de/formular-berufskrankheiten-anzeige::}}
„Wir werden alle bei der Landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK) Versicherten anschreiben, die in den vergangenen zwei bis drei Jahren aufgrund einer Parkinsonerkrankung behandelt wurden und die Prüfung einer Berufskrankheit einleiten“, sagt Matthias Rahn, Experte für Berufskrankheiten bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), gegenüber dem Wochenblatt.
Wer in den nächsten Wochen kein solches Anschreiben von der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft erhält, aber zum berechtigten Personenkreis zählt oder wer nicht bei der LKK krankenversichert ist, kann das Anzeigeformular auch bei der SVLFG anfordern oder von der Homepage herunterladen. Auch der behandelnde Arzt, in der Regel eine Neurologin bzw. ein Neurologe, kann die Meldung bei der zuständigen Berufsgenossenschaft vornehmen. Eine Antragsfrist gibt es nicht.
Nachweise erbringen
Die Anerkennung als Berufskrankheit ist an Kriterien geknüpft. Unter anderem ist nachzuweisen, dass Betroffene langjährig und häufig mit bestimmten chemischen Pflanzenschutzmitteln umgegangen sind.
Weitere Infos
„Wird die Parkinsonerkrankung als Berufskrankheit anerkannt, ändert sich der Kostenträger rückwirkend frühestens ab September 2023“, erklärt Matthias Rahn. Bis zu einer möglichen Anerkennung als Berufskrankheit ist die Kostenübernahme für Behandlungen durch die Krankenkasse sichergestellt, bei denen die Betroffenen versichert sind. Auch gehen Leistungsansprüche nicht verloren.
Die Bearbeitung wird laut SVLFG viele Monate in Anspruch nehmen. Für weitere Infos und Fragen hat die SVLFG eine Servicenummer eingerichtet. Sie lautet: (05 61) 78 51 03 50.
Inwieweit hier auf den Betrieben oder bei den Betroffenen noch entsprechende Nachweise vorhanden sind, bleibt abzuwarten. Es ist nicht auszuschließen, dass Spritzpläne oder Nachweise in schriftlicher Form etwa über Kauf und Ausbringung der Substanzen nach vielen Jahrzehnten nicht mehr vorhanden sind oder manch einer sich an einige Informationen auch nicht mehr erinnern kann.
"Diese Problematik ist uns bewusst. Hier ist letztlich in jedem Einzelfall in Zusammenarbeit mit den Betroffenen zu eruieren, welche weiteren Informationsquellen für die Beurteilung mit herangezogen werden können“, informiert Matthias Rahn. „Auch die SVLFG muss hierzu Erfahrungswerte aus den Ermittlungen sammeln. In einem Jahr wissen wir mehr.“
Voraussetzungen für Anerkennung
Damit ein „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ als Berufskrankheit anerkannt werden kann, sind diese Voraussetzungen zu erfüllen:
- Es muss medizinisch ein primäres Parkinson-Syndrom diagnostiziert sein. Die Erkrankung darf nicht Folge einer anderen Grunderkrankung sein. Geprüft wird etwa, ob die Erkrankung genetisch bedingt ist oder durch äußere Einflüsse entstanden ist. So haben Boxer oder Fußballer, deren Kopf oft äußerer „Gewalteinwirkung“ ausgesetzt war, ein höheres Risiko, an Parkinson zu erkranken.
- Erkrankte müssen in ihrem Beruf Herbizide, Fungizide oder Insektizide langjährig und häufig angewendet haben. Dabei werden nur Pestizide berücksichtigt, die eine neurotoxische Wirkung besessen haben oder besitzen. Antragsteller müssen den Substanzen in ihrem beruflichen Leben der Landwirtschaft an mindestens 100 trendkorrigierten Anwendungstagen ausgesetzt gewesen sein. Diese müssen mit Substanzen einer Funktionsgruppe – etwa Herbizide – erfüllt sein. Eine Addition der Anwendungstage unterschiedlicher Funktionsgruppen – wie Herbizide und Insektizide – ist nicht zulässig. Hinter dem Begriff „trendkorrigiert“ steht ein spezielles Rechensystem, mit dem die Abnahme des Parkinsonrisikos durch Änderungen bei Art und Risikopotenzial der verwendeten Pflanzenschutzmittel oder auch der Art der Ausbringung im Laufe der Jahre berücksichtigt werden soll. Als Anwendungstag kann jeder Tag geltend gemacht werden, bei dem Pestizide selber oder durch eigene Vor- und Nacharbeit ausgebracht wurden bzw. Störungen im Rahmen der Pestizidausbringung behoben wurden.
Näheres ist nachzulesen in der wissenschaftlichen Empfehlung für die Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“. www.wochenblatt.com/parkinson-berufskrankheit
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