Social Media? Da möchte sie nicht hin. Auch wenn ihre Freundinnen bei Facebook und Co. unterwegs sind – für Brigitte Funk, 75 Jahre, ist das nichts. "Mich interessiert die Meinung von irgendjemanden, den ich gar nicht kenne, einfach nicht." Die Dortmunderin greift lieber zum Telefon und verabredet sich. Digitale Möglichkeiten nutzt sie aber durchaus – um Kontakte aus dem realen Leben zu pflegen: "Meine Tochter hält mich über das Handy mit Bilder auf dem Laufenden. Das finde ich klasse." Brigitte Funk scheint ein gesundes Gleichgewicht zwischen digitaler und realer Welt gefunden zu haben. Und das ist tatsächlich gut für ihre Gesundheit. Denn Studien zeigen, dass ein Übermaß an virtuellen Beziehungen zu einer Abnahme realer Beziehun gen führen und einsam machen kann. Doch wie hat sich unser Miteinander verändert?
Alles überall wissen
Dortmund, Anfang der 1980er-Jahre. Brigitte Funk hat mit Freunden das Café "Samowar" eröffnet. Unkonventionell und familiär. Drehund Angelpunkt: der Stammtisch. "Das war ein Ort, wo ganz viele soziale Probleme besprochen wurden. Der eine hatte den Führerschein verloren, die andere den Freund, der dritte wusste nicht, wie man an einen Job kommt. Das wurde dann alles an diesem Tisch besprochen", sagt Funk. "Es musste mal jemand Formulare ausfüllen. Da haben wir gesagt: ‚Bring mit, irgendjemand wird’s schon können‘." Funk und ihre Mitstreiter haben ein Netzwerk aufgebaut – ganz analog. Und noch mehr: "Wenn wir gesehen haben, dass jemand alleine da saß, dann haben wir ihn an den Stammtisch geholt." Heute würde man Probleme, die damals am Stammtisch besprochen wurden, vermutlich googeln. Das Wissen ist nicht mehr an bestimmte Köpfe gebunden, sondern für alle digital zugänglich. Ohne Frage ein Gewinn! Aber mit jedem Problem, das in die Suchmaschine getippt wird, fällt zugleich ein persönlicher Kontakt weg. Und die Notwendigkeit, mit echten Menschen zu sprechen, schwindet weiter: Formulare können online ausgefüllt werden, bei Fragen hilft ein Chatbot. Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, diese Entwicklungen noch zu verstärken. Schon jetzt kann man sie wie eine reale Person befragen oder mit ihr diskutieren. Einige Plattformen ermöglichen es gar, Chatbots zu erstellen, die bestimmte Personen imitieren. Auch hier gilt wieder: Chatbots und KI erleichtern den Alltag. Aber gerade für Menschen, die ohnehin wenig soziale Kontakte haben, besteht die Gefahr, dass weiter reale wegbrechen.
Zuneigung per Mausklick
Wir springen wieder nach Dortmund, diesmal in die 1970er-Jahre. Während sie Plakate vor dem Kino betrachtet, wird Brigitte Funk angesprochen. Ob er ihr eine Pommes anbieten dürfe? "Wobei – er sagte ,einen Kartoffel‘, das war schon irgendwie ungewöhnlich", schmunzelt sie. Der bis dato Unbekannte: Funks zukünftiger erster Mann.
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Heute nutzen laut "Statista" rund 77 % der 16- bis 29-Jährigen On-line-Dating-Dienste zur Partnersuche. Von den 30- bis 49-Jährigen sind es 66 %, bei den über 65-Jährigen noch 23 %. Und nicht nur die Partnersuche hat sich ins Digitale verschoben. Das Miteinander findet zunehmend in sozialen Netzwerken statt. Zuneigung wird über ein Herz bei "Instagram" oder ein Like bei "Facebook" gezeigt. Steigt durch die sozialen Medien die Einsamkeit? Eine Studie der University of Pittsburg legt das n ahe: Bei Menschen, die mehr als zwei Stunden täglich auf sozialen Plattformen verbringen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sozial isoliert sind, etwa doppelt so groß wie bei Menschen, die weniger als eine halbe Stunde dort sind. Das liegt nicht nur daran, dass die Menschen schlicht zwei Stunden weniger Zeit haben. Das liegt auch an den sogenannten "sozialen Snacks". So nennen die Forscher soziale Interaktionen, die nur scheinbar unsere Bedürfnisse befriedigen. Denn – um im Bild zu bleiben – der soziale Hunger wird nur durch den ganzen Kuchen gestillt. Snacks allein reichen nicht. Hinzu kommt, dass sich auch viele Orte, an denen man früher zusammenkam, teils ins Digitale verschieben: aus Büro wird Homeoffice, die Uni-Vorlesung lässt sich remote am Schreibtisch verfolgen.
Gleichzeitig Gegenmittel
Das Paradoxe: Das Digitale kann auch ein Mittel gegen Einsamkeit sein und Teilhabe möglich machen – gerade in eher dünn besiedelten ländlichen Räumen. Denn es lassen sich im ungleich größeren digitalen Raum nicht nur leichter Gleichgesinnte finden. Auch die Kontaktpflege mit Menschen, die weit entfernt leben, wird einfacher. Ebenso die Versorgung: Per Mausklick kann bestellt werden, was sonst eine lange Fahrtzeit nach sich zieht. Ein Gewinn gerade für immobile Menschen. Brigitte Funk sagt: "Man darf die reale Welt nicht außer Acht lassen. Denn dann vereinsamt man." Recht hat sie.