Kommentar: Stadt gegen Land?
Es ist gut ein halbes Jahr her, dass zahlreiche Trecker durch die Innenstädte rollten. Auch wenn es konkret um die Kürzungen beim Agrardiesel ging, solidarisierten sich viele Menschen vom Land mit den Bauern. Denn neben der Kritik an der Politik der Ampel spielte auch der Frust des Landes gegen die Stadt eine Rolle.
Dieser Frust ist meist eher vage. Es geht dabei häufig gar nicht um die konkreten Herausforderungen wie schlechter Mobilfunk, Ärztemangel oder fehlende Busse. Oft schwingt das Gefühl mit, von einer angeblich städtischen Elite zu einem bestimmen Lebensstil gedrängt zu werden: vegetarisch essen, gendern und E-Auto fahren! Dieser Unmut entlud sich in einer einfachen Formel: Stadt gegen Land! Eine Parole, die auch Populisten in Deutschland immer öfter in den Mund nehmen, wie wir in unserem Einblick ab Seite 12 zeigen.
Auch wenn dieser Gegensatz politisch nicht instrumentalisiert werden darf, sehen Stadt und Land mit unterschiedlichen Brillen auf bestimmte Themen. Das beste Beispiel ist die "Natur": Für Land- und Forstwirte ist sie die Grundlage ihres Broterwerbes. Für Menschen aus der Stadt ein Ort, in dem sie in Zeiten von Beschleunigung und rasantem Wandel Freizeit, heile Welt und Entspannung suchen.
Ob es diesen Gegensatz wirklich gibt, betrachten wir am Beispiel Wolf. Der Vorwurf gilt, dass er für Städter der Inbegriff einer unberührten Natur ist und von Landbewohnern gehasst wird.
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Auch, so die Annahme, gilt für viele Großstädter das Land als der Ort, von wo die sauber produzierte Energie stammt. Großflächiger Ausbau der Windkraft und Photovoltaik werden in Kauf genommen, eine Beteiligung der Menschen vor Ort vernachlässigt. Dass sich das ändert, zeigen wir in unserem Einblick.
Der Wolf und der Ausbau der erneuerbaren Energien sind zwei Themen, bei denen eine Gefahr besteht: Manche Menschen aus der Stadt beziehen ihre Wünsche und Vorstellungen aufs Land, ohne an die Bevölkerung vor Ort zu denken.
Auch durch diese und weitere Themen hat sich in den vergangenen Jahren gefühlt der Graben zwischen Stadt- und Landbewohnern vergrößert. Politische Populisten wollen daraus Kapital schlagen und reden den Gegensatz deshalb größer, als er ist. Damit ihre Saat nicht auf fruchtbaren Boden fällt, müssen Stadt und Land im Gespräch bleiben, sich auf Augenhöhe begegnen und auch mal verbal abrüsten.
Denn wie Sprachlosigkeit und mutwilliges Missverstehen zu verhärteten Fronten führen können, erleben wir seit Jahren in den USA. Dort hat unter anderem der bewusst aufgebaute Gegensatz zwischen Stadt und Land Trump schon einmal zum Präsidenten gemacht – möglicherweise passiert es noch ein zweites Mal.
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